Kann ich als Frau meine Haare an den Beinen wachsen lassen?
Ein Thema, welches mich bereits seit langer Zeit beschäftigt, sind die Haare an meinen Beinen, genauer gesagt an den Waden oder Unterschenkeln.
Irgendwann kam bei mir das Gefühl auf, dass ich diese gern mal wieder wachsen lassen möchte. Aus ganz verschiedenen Gründen:
Weil ich gar nicht wusste wie ich mit komplett natürlich behaarten Beinen aussah.
Weil ich es nicht mochte mich ständig zu rasieren und mich dennoch mit den schnell nachwachsenden Stoppeln oder roten Pickelchen nicht schön fand.
Weil Methoden wie epilieren oder für immer entfernen für mich nicht in Frage kamen - zuviel Schmerz oder zu extrem.
Irgendwie gehören sie doch dazu.
Doch da kamen so viele Themen und Ängste hoch. Beeindruckend.
- Finden mich die anderen schön?
- Wirke ich dadurch zu männlich, zu „öko“, zu schmutzig?
- Weshalb rasiere ich mich überhaupt?
- Was gefällt mir selbst besser?
- Wäre es allgemein schöner, wenn sich Frauen die Haare wieder natürlich wachsen lassen?
- Wem gefällt es und warum?
- Wem gefällt es nicht und warum nicht?
- Welche Funktion haben diese Haare eigentlich überhaupt?
- Bin ich besonders stark behaart? Wie ist das bei anderen?
- Seit wann rasieren sich Frauen (und auch Männer)?
- Warum machen alle mit?
- Warum hauptsächlich nur Frauen?
- Wurde das früher schon gemacht? Wenn ja, wie?
- Gehören die Haare natürlicherweise einfach dazu?
- Sollten sie geschnitten und gepflegt werden wie Kopfhaare?
- Darf ich darüber sprechen oder ist das ein Tabu-Thema?
- …
Monatelang beschäftigt mich dieses Thema. Und wenn ich so schreibe, merke ich, dass ich noch immer unsicher bin damit in der Welt offen umzugehen. Irgendwie scheint es mir ein Tabuthema zu sein. Manche ekeln sich vielleicht. Manche lachen darüber oder rümpfen die Nase. Anderen ist das einfach zu intim. Das kann ich alles total verstehen. Genau deshalb beschäftigt es mich ja auch so sehr.
Seit der Pubertät rasierte ich mich. Einfach, weil man das so machte. Weil es modern war. Weil ich das Gefühl hatte, dass Haare bei Mädchen oder Frauen nicht „IN“, nicht „Schick“, nicht gewünscht waren. Ich erinnere mich, dass meine Mutter das noch nicht wirklich kannte, dann aber auch irgendwann damit anfing.
Naja und so machte ich das nun über viele Jahre hinweg. Zugegeben, wirklich schön fand ich mich damit auch nicht - aller zwei bis drei Tage hatte ich Angst, dass jemand meine Stoppeln sah und mich deshalb abstoßend fand. Oder die roten Pickelchen irgendwo entdeckte. Die fand ich ja selbst auch nicht schön.
Als ich mich dann allgemein mehr mit einem natürlichen und ursprünglicheren Leben beschäftigte, stolperte ich natürlich auch über dieses Thema. Lange spukte es mir im Kopf herum, bevor ich eines Tages entschied einfach mal im Intimbereich alles stehen zu lassen.
Ich mein, was hab ich eigentlich zu verlieren? Warum macht es mir so Angst, dass mich meine Familie, Freunde, Bekannte oder Fremde nicht schön finden könnten? Ich weiß ja selbst noch nicht einmal wie ich aussehe mit Körperbehaarung. Meine Kopfhaare find ich ja auch schön. Wieso eigentlich nicht den Rest?
Ja, es ist etwas sehr Intimes. Haare erinnern an Tiere, an das Männliche, an das Wilde, an das Animalische. Wieso darf das eigentlich bei Frauen nicht sein? Wer hat das festgelegt und warum machen alle mit? Warum muss immer alles glatt und perfekt sein? Vielleicht sollten wir es auch nicht als „Scham“-haar sondern „Lust“-haar bezeichnen. Ja, das bewegt Einiges. Das wirft ein ganz anderes Licht darauf. Vielleicht ist es deshalb auch Tabu.
Doch wir kämpfen uns mit Themen wie Lustempfinden, Perfektionismus, Selbstliebe, Anerkennung, Wertschätzung, Sein lassen, und und und ab, aber meinen hier und da doch Richtlinien haben zu wollen.
Doch wie vielen Frauen gefällt es wirklich fast täglich ihren Körper zu rasieren? Natürlich ist es schön mich zu pflegen und mir Zeit für mich zu nehmen. Doch sicher ja nur dann, wenn ich es für mich tue und nicht nur, weil ich glaube, dass es die anderen so erwarten, oder?
Aber was finde ich denn schön? Wie fühle ich mich am wohlsten? Damit bin ich total hin- und hergerissen. Keine Ahnung. Ich will ich sein. Ich will natürlich sein. Ich will aber auch schön sein. Für mich und andere. Das gehört für mich auch dazu. Aber ist es nicht schräg, dass das überhaupt so ein Riesenthema ist? So viel Zeit und Energie verwende ich darauf und fühle mich am Ende mit Allem unwohl.
Ich probiere es aus. Ich lasse mir die Haare im Intimbereich wachsen. Ja, das fühlt sich gut an. Das ist ja auch nicht immer gleich zu sehen. Am FKK-Strand fühle ich mich damit noch unsicher, doch das Selbstbewusstsein wächst. Einige Monate später lasse ich dann auch mal die Haare unter den Achseln und an den Beinen wachsen. Hm. Neu. Ein etwas komisches, gemischtes Gefühl. Einerseits finde ich mich schön damit. Es fühlt sich weich an, natürlich und mehr nach mir selbst. Andererseits fühle ich mich ständig angeschaut und mache mir ununterbrochen Gedanken was andere darüber und von mir denken. Das ist mein Hauptproblem. Vor allem bezüglich der Haare an den Beinen. Es ist ja schön viel dichtes Haar auf dem Kopf zu haben, doch an den Beinen ist es noch ungewohnt. Ich verdecke sie mit langen Hosen und merke, dass ich mich nicht wirklich frei bewegen kann und frei fühle.
Immer wieder kommt mir dann auch die Frage in den Sinn: Kopfhaare schneide ich ja auch immer wieder mal. Vielleicht also ja auch den Rest der Körperbehaarung. Doch diese ist ja schwieriger mit der Schere zu schneiden. Stoppeln will ich ja auch nicht. Also bleibt nur der Rasierer und das hatten wir ja schon. Hinzu kommt da der Umwelt- und Gesundheitsgedanke bei mir: Weniger Plaste oder anderer Müll sowie weniger Verletzung meiner Haut oder chemische Mittel auf dieser.
Einige Monate beobachte ich diese Gedanken. Langsam werde ich selbstbewusster und freizügiger. Dennoch habe ich vor einigen Tagen wieder einmal fast alles abrasiert. Boah, sah das plötzlich nackig, schutz- und hilflos aus. Faszinierend. Besonders witzig war, dass mein Freund sich einige Zeit vorher seinen Vollbart zum ersten Mal komplett abrasiert hatte, was einfach der Lacher für einige Tage war, ihn zu einem ganz anderen Menschen machte und uns deutlich machte wie ungewohnt es für alle ist. Dennoch ist es auch er. Damit kamen plötzlich ganz andere Seiten bei ihm zum Vorschein, die sonst unter dem Vollbart verdeckt blieben - Schutz- und Hilflosigkeit, Verletzbarkeit und etwas Kindliches. Das war interessant.
Körperhaare wachsen ja ziemlich schnell nach. Mein Freund hat inzwischen wieder Vollbart und wir finden beide zur Zeit passt das einfach besser zu ihm. Wer weiß was später einmal ist.
Und ich. Ich habe mich mit rasierten Beinen erst komisch, aber irgendwie wieder dazugehöriger, sicherer, gewohnter gefühlt. Das fand ich auch interessant.
Ich sah in der Zeit natürlich auch einige Frauen mit behaarten Beinen oder Achselhaaren und war beruhigt, dass ich nicht allein damit bin. Doch fand ich Frauen mit rasierten Beinen auch wunderschön. Dieses Schönheitsideal steckt halt auch tief in mir drin. Oft fragte ich mich jedoch auch wie sie wohl mit Haaren aussehen und ob sie dies vielleicht auch mal ausprobieren wollen, sich nur nicht trauen. Männer rasieren sich ja auch manchmal die Brusthaare. Halte ich persönlich z.B. auch nicht für notwendig, aber, wenn sie sich damit wohler fühlen…
Ich habe inzwischen weder Lust mich ständig zu rasieren, um anderen zu gefallen, noch behaart herumzulaufen und mich angestarrt zu fühlen. Das war nun die wichtigste Erkenntnis für mich:
Ich mache es einfach so wie ich gerade Lust habe und mich traue. Weder das eine noch das andere Extrem. Wie bei der Kopfbehaarung - immer mal wieder eine andere Frisur. Das bringt mehr Abwechslung. Das nimmt die äußeren und inneren Zwänge von mir. Das bin ich selbst. Und gleich fühle ich mich auch wohler darüber zu schreiben und zu reden.
Ich bin neugierig wie dieses Thema weiterhin in der Öffentlichkeit betrachtet wird. Es scheint ja doch immer mehr Frauen (und Männer) zu beschäftigen. Und so lang ist es ja noch nicht einmal her, wo sich Frauen nicht rasierten. Verblüffend wie schnell sich das in einem solchen Maße ändert. Vielleicht ja auch wieder in eine andere Richtung nun.
Jeder er selbst.
Jede sie selbst.
Alle einzigartig.
Sei du selbst - mit oder ohne Haaren, bunt, geflochten, lang oder kurz. Wie du es magst.
Hier noch ein interessanter Artikel dazu:
Offensichtlich scheint es seit letztem Jahr allgemein ein Thema zu sein, zumindest finde ich einige Artikel und Videos von 2018 darüber. Es bleibt spannend.
Auf die Haare fertig los…
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